Nato-Russland-Grundakte
1997 wurde die Nato-Russland-Grundakte abgeschlossen, in der die NATO sich verpflichtet hat, keine zusätzlichen Truppen in den Gebieten neuer Mitglieder aufzustellen und es wurde eine enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit vereinbart. Die Nato-Russland-Akte ist inzwischen de facto tot, denn die Entsendung von NATO-Truppen ins Baltikum, die Stationierung der US-Raketenabwehr in Rumänien und Polen und andere Truppenstationierungen der USA in Osteuropa waren amerikanische Vertragsbrüche.
Hinzu kommt, dass auch die diplomatischen Kontakte zwischen Moskau und der NATO abgebrochen wurden, nachdem die NATO die Zahl der bei ihre akkreditierten russischen Diplomaten so weit gesenkt hat, dass eine Aufrechterhaltung der diplomatischen Arbeit nicht mehr möglich war.
Einige der russischen Vorschläge an die NATO sind ein Versuch, zu der Nato-Russland-Grundakte zurückzukehren, indem Russland vorschlägt, „bilaterale und multilaterale Konsultationsmechanismen, einschließlich des NATO-Russland-Rates“ zu nutzen. Auch Russlands Vorschlag, beide Seiten sollten sich offiziell nicht als Gegner betrachten geht in diese Richtung. Russland möchte also bestehende, von der NATO aber inzwischen entwertete, Verträge wiederbeleben.
Der Knackpunkt wird sein, dass Russland fordert, dass sich die NATO wieder an das früher schriftlich gegebene Versprechen halten soll, keine Truppen in den osteuropäischen NATO-Staaten zu stationieren, was de facto einen Abzug von US-Truppen (inklusive Raketenabwehr) aus Polen und Rumänien bedeutet, aber auch den Abzug der „rotierenden“ NATO-Truppen aus dem Baltikum.
NATO-Erweiterung und Manöver
Russland verlangt von der NATO eine schriftliche Verpflichtung, die NATO nicht weiter auszudehnen und nennt dabei vor allem die Ukraine. Das fordert Russland auch in dem Vertrag mit den USA: Die USA sollen sich verpflichten, keine weiteren Staaten der ehemaligen Sowjetunion in die NATO aufzunehmen und auch keine Militärstützpunkte in diesen Ländern zu errichten.
Außerdem schlägt Russland vor, eine Art Korridor entlang der Grenzen von Russland und den NATO-Staaten zu definieren, in dem keine Militärmanöver mehr durchgeführt werden dürfen. So will Russland die Gefahr eines Krieges „aus Versehen“ reduzieren, die immer besteht, wenn gegnerische Armeen in unmittelbarer Nähe zueinander den Krieg üben. Außerdem fordert Russland von der NATO explizit, jede militärische Aktivität in ehemaligen Sowjetrepubliken, die nicht Mitglieder der NATO sind, abzulehnen.
Den USA schlägt Russland außerdem vor, Richtlinien auszuarbeiten, die die zulässige Entfernung ihrer Flugzeuge und Schiffe in internationalen Gewässern und Luftraum regelt. Und Russland schlägt auch vor, die Flüge von schweren Atombombern entlang der Grenzen des jeweils anderen Landes einzustellen. Gleiches schlägt Russland für Überwasserkampfschiffe vor, die mit ihren (Atom-)Waffen das Gebiet des jeweils anderen angreifen können.
Atomwaffen
Nachdem die USA einseitig den INF-Vertrag über das Verbot landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen gekündigt haben, hat Russland immer wieder vorgeschlagen, auf die Stationierung solcher Raketen in Europa zu verzichten. Das möchte Russland sowohl in dem Vertrag mit der NATO als auch in dem Vertrag mit den USA festschreiben: Es sollen keine solchen Raketen an Orten stationiert werden dürfen, von denen aus sie das Territorium der anderen Seite angreifen können.
Die NATO hat alle russischen Vorschläge dieser Art bisher abgelehnt.
Noch komplizierter dürfte die nächste Forderung Russlands werden, denn Russland schlägt vor, keine Atomwaffen in anderen Staaten zu stationieren, sondern sie auf dem Gebiet des eigenen Staates zu belassen. Dazu gehört auch, dass Russland fordert, dass Russland und die USA Atomwaffen, die sie in anderen Staaten stationiert haben, nach Hause holen und die Abschussvorrichtungen und Lager für Atomwaffen in anderen Ländern zerstören. Da Russland keine Atomwaffen außerhalb seines Landes hat, ist das die eindeutige Forderung an die USA, ihre Atomwaffen aus Europa (also auch aus Deutschland) und der Türkei abzuziehen.
Wie Russland das gegenüber den USA durchsetzen möchte, bleibt abzuwarten. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der weißrussische Präsident Lukaschenko erklärt hat, sein Land habe die alten sowjetischen Abschussanlagen in Schuss gehalten und dort könnten jederzeit wieder russische Atomwaffen stationiert werden. Dieses Angebot hat der weißrussische Außenminister am Wochenende für den Fall erneuert, dass weitere amerikanische Atomwaffen nach Europa gebracht werden.
Atomwaffensperrvertrag
Der Atomwaffensperrvertrag sieht vor, dass Kernwaffenstaaten diese Technologie nicht an andere Nicht-Kernwaffenstaaten weitergeben und ihnen auch keine Atomwaffen zur Verfügung stellen dürfen. Dagegen verstoßen die USA und die NATO im Rahmen der sogenannten „atomaren Teilhabe„, an der auch Deutschland teilnimmt. Dabei werden Bundeswehrpiloten ausgebildet, die in Deutschland gelagerten Atomwaffen einzusetzen, was klar gegen den Atomwaffensperrvertrag verstößt.
Auch das will Russland beenden und schlägt vor, dass beide Länder zukünftig keine Soldaten anderer Länder mehr an ihren Atomwaffen ausbilden. Wieder stellt sich die Frage, wie Russland das durchsetzen will.
Fazit
Das waren die wichtigsten Vorschläge Russlands, mit denen es sich und den Staaten der NATO Sicherheitsgarantien geben möchte. Man sieht, dass es sich dabei vor allem um Forderungen gegenüber den USA handelt, die die USA kaum freiwillig umsetzen werden. Und man sieht auch, wer wen bedroht, denn alle Forderungen, vor allem atomar abzurüsten, gehen an die USA, die Russland wesentlich aktiver mit Atomwaffen bedrohen als umgekehrt, denn Russland hat keine Atomwaffen vor der amerikanischen Haustür, zum Beispiel auf Kuba, während die USA viele Atomwaffen nahe der russischen Grenze aufgestellt haben.
Auch die Vorschläge, auf Patrouillen an der Grenze des jeweils anderen zu verzichten, sind sinnvoll, aber es sind auch Vorschläge an die Adresse der USA und der NATO, denn die fliegen wesentlich öfter mit schweren Bombern entlang der russischen Grenze als umgekehrt.
So könnte man alle russischen Vorschläge durchgehen, denn alle Vorschläge sind auf Entspannung ausgelegt, aber sie fordern mehr Zugeständnisse von den NATO-Staaten und den USA als von Russland, weil Russland eben weniger solcher Manöver, Patrouillenflüge und so weiter durchführt, als es die NATO tut.
Man darf gespannt sein, ob die USA sich auf Verhandlungen über all das einlassen, denn die USA sind nicht dafür bekannt, Kompromisse einzugehen oder anderen gegenüber Zugeständnisse zu machen.
Der Artikel ist zuerst im ANTI-SPIEGEL erschienen:
https://www.anti-spiegel.ru
Über den Autor:
Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.