Franz Josef Degenhardt zum 90. Geburtstag – Teil 1

Der realistische Träumer, Franz Josef Degenhardt, zählt bis heute zu den bekanntesten Liedermachern Deutschlands mit internationalem Ruf.

1965 erschien sein Album „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, dessen Titellied ihn berühmt machte. Viele seiner Lieder wurden zu Klassikern des politischen Liedes und wirkten stilbildend auf eine ganze Generation deutscher Liedermacher.

FJD wäre am 3. Dezember 2021 90 Jahre alt geworden. Als Liedermacher wie als Jurist zunehmend politisch engagiert, ließ er sich 1969 als Anwalt in Hamburg nieder. 1971 wurde er aufgrund des Unvereinbarkeitsbeschlusses der SPD gegenüber Marxisten aus der SPD ausgeschlossen. Im Jahre 1978 trat er der DKP bei. Zu den herrschenden Verhältnissen in der BRD stand er zeitlebens in kompromissloser Gegnerschaft.

Sich erinnern kann in trüben, lichtschwachen Zeiten wie diesen überlebenswichtig sein, sagte Hannes Wader in Erinnerung an Franz Josef Degenhardt. Diesem Gedanken folgend, das nachfolgende Video aus dem Jahr 1987. Franz Josef Degenhardt starb am 14. November 2011 in Hamburg.

Lied für die ich es sing, von Franz Josef Degenhardt

Dieses Lied ist für Pastor Klaus,
Weil – der ließ in sein Pastorhaus
Nachts jemand, den hat er nicht gekannt,
Beine und Füße verbrannt
Der war gestolpert kurz vorm Ziel –
Und weil der Strommast zu früh umfiel.
Pastor Klaus hat sofort kapiert,
Die Angst hat sein‘ Hals zugeschnürt.
Aber er hat das Blut gestillt
Und hat die Wunden gesalbt und geölt,
Und er linderte die Pein
Mit Canabis und rotem Wein.
Pastor Klaus, bist nur Pastor, schwach
Glaubst du nur an ein Leben danach.
Doch wenn du stirbst, kommst du ganz schnell
Au père éternel.

Dies‘ Lied ist für Rosemarie,
Weil – bei der Kripo, da hat sie
Einen einfach nicht wiedererkannt,
Einen aus Morgenland.
Der war aus der Bank rausgerannt,
Und die Pistole noch in der Hand,
Lief auf sie zu, und sie blieb steh’n.
Sie hat sein Gesicht geseh’n.
Aber wie er jetzt so da stand
Zwischen zwei Deutschen und an der Wand
Mit diesem schrecklich verlorenen Gesicht,
Sagte sie: Der war es nicht.
Rosemarie, bist nur Rentnerin,
Und die Belohnung, die ist jetzt hin.
Aber du lachst und weißt, deinen Lohn,
Hast du ja schon.

Dieses Lied ist für die Richter, die
Sich vor Raketen bei Eis und Schnee
Auf die Straße setzten und sie
Blockierten. Das gab es noch nie!
Solche wie ihr haben immer nur
So gerichtet wie’s immer schon war
Und geschielt, ob der Chefpräsident
Euch winkt, eure Namen nennt.
Ihr habt gebrochen mit diesem Brauch
Und habt gezeigt, anders geht’s auch.
Mehr ist das als nur ein Hoffnungsstrahl.
Das funkelt und funkt überall.
Einfache Richter seid ihr nur, doch
Eure Namen, die nennt man noch,
Wenn den Namen vom Chefpräsident
Längst keiner mehr kennt.

Und für Natascha Speckenbach
Ist dieses Lied, weil – die gibt nicht nach;
Sagt, es ginge nicht, daß sie sich schont
Im Viertel, da wo sie jetzt wohnt
Geht mit den Arbeitslosen aufs Amt,
Steht, meist allein noch, am Info-Stand,
Macht mit den Frauen aus der Türkei
Deutsch und noch so allerei.
Haare noch wie Tomatensaft,
Immer noch gibt sie den anderen Kraft.
Aber die Ärzte geben ihr klar
Höchstens noch anderthalb Jahr.
Natascha Speckenbach von der Ruhr,
Bist eine schlichte Genossin nur,
Aber unsterblich bist du ganz klar
Noch nach anderthalb Jahr.
Pastor Klaus und Rosemarie,
Natascha Speckenbach und auch die
Richter. Und gibt auch noch paar mehr;
Kommen von überall her.
Die machen vieles so ohne Netz
Und, wenn es nottut, auch ohne Gesetz,
Und tun auch oft was ganz ungeschützt,
Was ihnen gar nicht nützt.
Überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit,
Sind sie vor fremder Not nicht gefeit
Einige glauben sogar daran,
Dass man das alles noch ändern kann.
Ob das so kommt und ob das so geht –
Das weiß ich nicht mehr. Ich sing‘ nur dies‘ Lied.
Doch ohne die, für die ich es sing‘
Hätt‘ alles kein‘ Sinn.