False-Flag-Attacken gegen Zivilisten und erfundene Vorwände für ein militärisches Eingreifen markierten die Weltgeschichte. Es gibt eine lange Liste solcher inszenierten “Vorfälle” oder falschen Behauptungen, mit denen im 20. und 21. Jahrhundert die USA und andere NATO-Staaten in einem fremden Land intervenierten. Den Angriffen und Kriegen fielen Hunderttausende unschuldiger Menschen zum Opfer, man denke nur an Vietnam, Afghanistan, den Libanon, Irak, Libyen, Syrien. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, der sich am 24. März zum 23. mal jährt, ist ein weiteres Beispiel. (mehr dazu im Beitrag – Es begann mit einer Lüge)
Heute steht die Welt erneut vor der großen Gefahr einer Provokation, die schlussendlich doch noch dazu führen könnte, dass NATO-Truppen in der Ukraine am Krieg teilnehmen. Maßgebliche Führer des transatlantischen Bündnisses stellen sich bislang noch gegen einen NATO-Einsatz auf ukrainischem Boden. Doch manche versuchen, ein “wahrscheinliches” oder “geplantes” russisches Vorgehen mit Bio- und Chemiewaffen immer stärker herbeizureden, was unweigerlich einen Vorwand für ein militärisches Eingreifen der NATO schaffen würde.
Nachdem das russische Militär Dokumente über die vom US-Verteidigungsministerium in der Ukraine betriebenen Biolabore veröffentlichte, kam eine neue Entwicklung in Gang. Die Papiere enthielten Listen von hochinfektiösen Bakterien und Viren sowie Beschreibungen von damit durchgeführten Experimenten, deren vollständige Offenlegung nun auch das chinesische Verteidigungsministerium fordert, zuletzt am 24.03. 2022.
Seitdem steigerten sich täglich neue suggestive Warnungen von US-Politikern bis hin zum US-Präsidenten Joe Biden und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Ohne die geringsten konkreten Daten oder Anhaltspunkte vorzuweisen, rufen sie immer lauter: Falls Russland “seine chemischen Waffen” in der Ukraine einsetzen würde, müsse es mit schwersten Konsequenzen rechnen. Denn dann wäre die “rote Linie” überschritten. Bundeskanzler Scholz legte noch eines drauf: Am 23. März warnte er nicht nur vor chemischen Waffen, sondern auch vor den Biowaffen Russlands.
Womit sind die Anschuldigung belegt, Russland könne chemische Massenvernichtungswaffen in der Ukraine einsetzen wollen? Noch nicht einmal ein gefälschtes Foto steht zur Verfügung.
Doch am 20.03.2022 geht die Kampagne erst richtig los. Nun betont der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, es werde eine aggressive Reaktion geben, falls Russland Chemiewaffen gegen Ukrainer einsetzt.
Ebenfalls am 20. März schwört der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, Russland würde wegen des Einsatzes chemischer oder biologischer Waffen in der Ukraine mit einer “erheblichen Reaktion nicht nur der Vereinigten Staaten, sondern auch der Weltgemeinschaft” konfrontiert werden.
Am gleichen Tag erklärt die republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney, dass der Einsatz chemischer Waffen durch Russland in der Ukraine von den USA und der NATO als “rote Linie” betrachtet werden sollte.
Der ukrainische Präsident Selenskij sagt einen “Dritten Weltkrieg” voraus, falls die Verhandlungen mit Putin scheitern. (20.03.)
Und Bundeskanzler Olaf Scholz hat persönlich den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Telefonat am 23. März vor dem Einsatz von Chemie- und Bio-Waffen in der Ukraine gewarnt.
Diese Stimmen sind nur eine Auswahl. Man sieht, wie ein solches Thema stufenweise über mehrere Tage hinweg “aufgebaut” wird und sich die Akteure die Bälle zuwerfen.
Russland hat seine chemischen Waffen unter OSZE-Aufsicht 2017 komplett beseitigt. Am 22.03.2022 erklärte die Botschaft Russlands in den USA nochmals über Twitter: “Im Jahr 2017 hat Russland seinen Bestand an Chemiewaffen aufgelöst. Diese Tatsache wurde von der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen dokumentiert. Die USA wiederum verzögern absichtlich die Vernichtung der verbleibenden drei Prozent ihrer chemischen Waffen, die immer noch eine ernsthafte Bedrohung für den Planeten darstellen. Wir fordern die USA auf, alle ihre Chemiewaffen zu beseitigen.”
Ein Angriff mit Chemiewaffen oder ein provoziertes Chemikalienunglück wäre für Russland politisch absolut kontraproduktiv
Was in der Beurteilung ausgeblendet wird, ist die politisch-militärische Strategie Russlands in der Ukraine. Benötigt wird die künftige Zustimmung und Mitarbeit der ukrainischen Zivilbevölkerung in einem neutralen, entwaffneten, pazifistischen und vor allem entnazifizierten Land. Russland hat diese Ziele von Anfang an klar genannt. Chemie-Angriffe gegen die Zivilbevölkerung würden diesen erklärten Zielen diametral zuwiderlaufen. Warum sollte Russland sich selbst schaden?
Solche Angriffe würden die Kriegsziele Russlands zunichtemachen – insofern liegen sie tatsächlich – objektiv – im Interesse des Westens.
Präsident Joe Biden sagte am Ende des NATO-Gipfels in Brüssel, wenn Russland chemische Waffen in der Ukraine einsetzen würde, werde dies “eine Reaktion” der NATO auslösen. Auf die Frage, ob die USA spezifische Informationen über den Einsatz oder die Vorbereitung des Einsatzes chemischer Waffen durch Russland gesammelt hätten, sagte Biden, er könne keine Geheimdienstdaten kommentieren, sagte aber: “Wir würden antworten.”