Weihnachten 2020

Opfertod des Jünglings Danko
Opfertod des Jünglings Danko, in „Die alte Isergil“, von Maxim Gorki

Gedanken über Christus und Prometheus
Gekürzt aus einem Text von Maxim Gorki, veröffentlicht an Weihnachten 1918, in „Unzeitgemäße Gedanken über Kultur und Revolution“.

…alles Gemeine und Abscheuliche, was es auf der Welt gibt, wurde und wird von uns gemacht; alles Schöne und Vernünftige, wonach wir streben, lebt in uns. Es lohnt sich nicht zu leben, wenn man nicht an die Brüderlichkeit aller Menschen glauben kann; das Leben hat keinen Sinn, wenn man nicht vom Sieg der Liebe überzeugt ist.

Gewiss, wir stecken bis zum Hals in Blut und Schmutz, dichte Wolken ekelerregender Gemeinheit umgeben uns und blenden viele von uns; manchmal scheint es, als werde diese Gemeinheit alle die schönen Träume, die wir unter Mühen und Qualen geboren haben, vergiften und ersticken, als werde diese Gemeinheit alle Fackeln, die wir auf dem Weg zur Wiedergeburt entzündet haben, wieder auslöschen. Der Mensch bleibt aber immer Mensch, und letzten Endes kann doch nur das Menschliche siegen; darin liegt auf der ganzen Welt der eigentliche Sinn des Lebens; einen anderen Sinn hat das Leben nicht.

Sollten wir doch zugrunde gehen?
Unsere Lage ist tragisch, aber gerade in der Tragödie ist der Mensch am erhabensten. Es ist schwer zu leben; zu viel kleinliche Gehässigkeit ist an die Oberfläche des Lebens gelangt, und es fehlt der heilige Zorn, der die Gemeinheit töten könnte. Aber Synesius, der Bischof von Ptolemais, sagte: „Der Philosph bedarf der Seelenruhe – nur die Stürme erziehen den geschickten Steuermann.“ Lasst uns glauben, dass diejenigen, die im Chaos und im Sturm nicht zugrunde gehen, stark werden und eine unerschütterliche Widerstandskraft gegen die alten, grausamen Lebensprinzipien entwickeln werden.
Heute ist der Tag der Geburt Christi, eines der beiden größten Symbole, die der Mensch in seinem Streben nach Gerechtigkeit und Schönheit geschaffen hat. Christus ist die unsterbliche Idee der Barmherzigkeit und Menschlichkeit, Prometheus ist der Feind der Götter, der erste Rebell gegen das Schicksal; der Mensch hat nichts Erhabeneres geschaffen als diese beiden Verkörperungen seiner Wünsche.
Der Tag wird kommen, an dem die beiden Symbole – Stolz und Barmherzigkeit, Demut und Tollkühnheit beim Verfolgen eines Zieles – in der Seele des Menschen zu einem großen einzigen Gefühl verschmelzen werden und alle Menschen ihre eigene Bedeutung, die Schönheit ihre Strebens und ihre gemeinsame Herkunft erkennen, die sie alle miteinander verbindet. …

Lasst uns also an uns selbst glauben, lasst uns hartnäckig arbeiten; alles liegt in unserer Macht, und es gibt im Weltall keinen anderen Gesetzgeber als unseren vernünftigen Willen.
Allen, die sich im Sturm der Ereignisse einsam fühlen, deren Herz von bösen Zweifeln gepeinigt wird, deren Geist tiefe Trauer bedrückt – ihnen gilt mein herzlicher Gruß.
Und meinen herzlichen Gruß auch denen, die unschuldig eingekerkert sind.

Maxim Gorki, Weihnachten 1918